Alle von uns kennen diese Momente, die wir im Landesblasorchester Baden-Württemberg erleben dürfen – Momente, in denen eine tiefe Verbundenheit von Musikerinnen und Musikern mit der Musik selbst zu existieren scheint. Aber auch ein gemeinsames Fühlen. Wir nennen das bei uns „LBO-Moment“. Diese besonderen Momente, die eigentlich kaum planbar scheinen – und doch immer wieder auftreten.
Einer dieser Momente, der mir immer noch sehr in Erinnerung ist, war in der Vorbereitung auf den WMC 2017: Es sind nur noch wenige Tage bis zu dem Wettbewerb, auf den wir uns mehrere Jahre durch anspruchsvolle Programme und bewusst gesetzte Konzerte und Wettbewerbe vorbereitet haben. Was nun fehlt, ist der letzte Feinschliff. Dafür proben wir nochmals mehrere Tage in Prüm – jeden Abend ein Durchlauf mit Aufnahme. Wir wollen die Konzertsituation simulieren und im Nachgang analysieren können.
Nachdem wir nun zwei Tage gearbeitet haben und das Orchester noch einmal eine Stufe weitergegangen ist, die Stimmen noch besser ineinandergreifen, passiert es beim abendlichen Durchlauf: Wir sind total in der Musik, obwohl wir sie schon so oft gespielt haben, die ersten Tränen fließen beim Spielen und man ist sich sehr sicher, dass alle gleich fühlen. Auch wenn die Situation nur eine Probe unter uns ist – wir erleben die gleiche tiefe Verbundenheit in ganz besonderen Momenten auch mit dem Publikum und wissen gleichzeitig: Wir können diese speziellen Momente nicht erzwingen – sie passieren einfach.
Sind das nicht die Situationen, Erfahrungen und Gefühle, die Musik wirklich ausmachen? Viele werden diese Frage bejahen – gleichzeitig wirft diese Antwort eine neue Frage auf: Auch wenn wir solche Erlebnisse wie vor dem WMC nicht planen können, was können wir als Orchester und Musizierende dafür tun, Musik gemeinsam mit unserem Publikum so intensiv zu spüren?
Reflektiert man ein wenig, was die Zutaten sein können, so stellt man fest, dass es tatsächlich Parameter gibt, die notwendig sind, um einen LBO-Moment zu schaffen. Ich möchte diese gerne aus der Sicht eines Musikers erläutern.
Technische und musikalische Voraussetzungen schaffen
Damit Musik wirken kann, muss sie erarbeitet werden. Das klingt auf der einen Seite erst mal wenig emotional und auch logisch – dennoch ist es wichtig, das zu erwähnen. Einfach ausgedrückt könnte man sagen, dass die richtigen Töne gespielt werden müssen, Rhythmen ineinandergreifen sollten und die Intonation stimmt. Selbstverständlich betrifft dieser Aspekt auch individuelle Themen wie das Arbeiten an einem schönen Klang oder präziser Artikulation.
Bei den Voraussetzungen geht es aber auch um musikalische Aspekte: Parameter wie gemeinsames Phrasieren, Klangvorstellung, Balance und auch die Geschichte hinter dem Werk zu verstehen und musikalisch zu erarbeiten.
Es klingt logisch, dass falsche Töne, unpassende Klangfarben oder flache Phrasierung eine Atmosphäre zerstören oder gar nicht erst entstehen lassen können. Dennoch ist es wichtig zu erwähnen: Um Emotion zu erzeugen, muss zunächst gearbeitet werden.
Empathie und Unterordnen für eine größere Sache
Was für Teams oder Mannschaften gilt, gilt auch für Orchester: Wir können nur gemeinsam etwas Besonderes schaffen. Wir brauchen alle Musikerinnen und Musiker für einen besonderen Klang. Das bedeutet aber auch, dass das Gesamtgefüge und das gemeinsame Ziel wichtiger sind als man selbst. Mir als Musiker muss das immer klar sein. Ob es nun darum geht, nicht zu laut oder zu scharf zu spielen, ob Stellen ausgedünnt werden und man diese auf einmal nicht mehr spielt, oder ob es einfach darum geht, zuzuhören, anderen zu gut gespielten Solo-Stellen zu gratulieren und sich für andere zu freuen – es geht in erster Linie um das Ergebnis. Und an diesem Ergebnis sollte jeder Musizierende Freude haben.
Aus meiner Sicht fängt dieses Verständnis mit Hinhören und einer Art Verbindung an. Natürlich ist es wichtig, sich seiner Rolle an den einzelnen Stellen bewusst zu sein. Aber es geht auch um die Verbindung zu anderen – z. B. zu den Kolleginnen und Kollegen im Satz oder zu einer gemeinsamen Gruppe bis hin zum ganzen Orchester. Besondere Momente spüren wir meist alle synchron – das merkt man sehr schnell, wenn man kurz nach links oder rechts schaut. Was dem zugrunde liegt, ist eine Art empathischer Prozess: also das Hineinfühlen und Synchronisieren der Emotionen mit anderen – und das natürlich in ständiger Wechselwirkung. Wenn diese Verbindung da ist, wenn spezielle Momente auf der Bühne entstehen, dann kann diese Verbindung auch das Publikum erreichen – und es tief emotional berühren.
Auch wenn es wie beschrieben um das Ergebnis geht, so bedeutet das nicht, dass der menschliche Zusammenhalt zu kurz kommt. Im Gegenteil: Als Menschen machen wir Dinge natürlich lieber gemeinsam, wenn wir Teil einer positiven und guten Kultur sind und der Zusammenhalt in der Gruppe stimmt. Dabei geht es nicht nur um gemeinsames Feiern nach langen Proben – eine positive Kultur äußert sich in vielen kleineren und größeren Dingen: in der Art und Weise, wie sich Musikerinnen und Musiker begrüßen, wie neue Mitglieder integriert werden und wie gemeinsam an ambitionierten Zielen gearbeitet werden kann.
Mir ist es an dieser Stelle wichtig, einen Gegenpol zu dem vorherigen Aspekt zu setzen – denn wenn es um Musik um jeden Preis geht, leidet die Gemeinschaft, und damit auch das musikalische Ergebnis.
Hingabe verbindet
Zu den beschriebenen Aspekten muss ich an dieser Stelle noch einen weiteren nennen, der aus meiner Sicht eine Art Unterbau bildet: Hingabe. Was mir immer wieder auffällt, ist, dass das LBO sehr vielen Musikerinnen und Musikern etwas bedeutet und dass sie viel Arbeit, Präzision und Zeit in das Orchester stecken – immer mit dem Ziel, die bereits genannten Aspekte auf bestmöglichem Niveau umzusetzen.
Beobachten wir Menschen, die Dinge mit Hingabe tun, fühlen wir uns oftmals berührt – ob im Sport, bei emotionalen Reden oder eben bei Musikerinnen und Musikern. Hingabe soll an dieser Stelle nicht zwingend mit Motivation gleichgesetzt werden. Hingabe ist etwas, das wesentlich intrinsischer, selbstloser und womöglich ehrlicher ist. Für viele Musikerinnen und Musiker ist das LBO etwas wirklich Besonderes und deswegen sind sie mit so viel Hingabe dabei. Genau das spürt das Publikum.
Jetzt könnte man sagen: „Okay, lass uns das alles machen – und wir kreieren Magic Moments.“ So einfach ist es leider nicht. All das, was aus meiner Beobachtung für die Emotion in der Musik wichtig ist, erhöht bestenfalls die Wahrscheinlichkeit für einen besonderen Moment – eine Garantie ist es nicht. Im Gegenteil: Zu viel Verbissenheit verhindert eher, dass Emotionen entstehen.
Zusätzlich zu den genannten Faktoren gibt es noch einen weiteren: das Publikum. Diesen können wir als Musizierende nur mit unserer Musik und deren Wirkung beeinflussen. Eckart Altenmüller, Forscher im Bereich der Neuropsychologie von Musikerinnen und Musikern, schreibt in seinem Buch „Vom Neandertal in die Philharmonie“, dass vor allem Vertrautheit mit einem Werk die Wahrscheinlichkeit für einen Gänsehautmoment steigern kann – ebenso wie Überraschungsmomente. Ob das Publikum emotional berührt wird, hängt also auch sehr stark vom Publikum selbst ab und nicht nur vom Orchester.
Das Thema ist also komplex. Wir als Orchester können nur Wahrscheinlichkeiten beeinflussen. Aber genau das macht es auch aus, in einem großartigen Orchester zu spielen. Ich denke, dass LBO-Momente ihre extreme Wirkung v. a. aus der Unplanbarkeit und Vergänglichkeit beziehen: sie entstehen meist in Situationen, in denen wir sie nicht erzwingen wollen und loslassen können. Und das ist auch das Schöne daran.
Landesblasorchester Konzerttermine 2025
12. Oktober: Plochingen (Werkstattkonzert)
25. Oktober: Remseck am Neckar
26. Oktober: Stetten a. k. M.8. November: Sternenfels-Diefenbach
9. November: Neresheim23. November: BRAWO Stuttgart
Neue Linie im LBO-Fanshop
Passend zu diesem Artikel haben wir im LBO-Fanshop die neue Linie „LBO Heartbeat“ unter dem Motto „DRIVEN BY MUSIC, DRIVEN BY HEART.“

